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Prozessbeobachtung: Planungen konkreter als bisher gedacht

Foto zeigt einen Raum des Oberlandesgerichts in Koblenz
Vor dem Oberlandesgericht in Koblenz findet der Prozess gegen die "Vereinten Patrioten" statt. (Quelle: RJ)

Im Verfahren gegen die „Vereinten Patrioten“ kamen zuletzt vor allem verdeckte Ermittler zu Wort – unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Doch es geht auch um konkrete Anschlagspläne. Ein Prozessbericht.

„Ich habe mich in der DDR wohlgefühlt“, antwortet Sven B. auf die Frage, ob er es gut finden würde, wenn Ostdeutschland von russischem Militär besetzt würde vor dem Oberlandesgericht in Koblenz. Seit Anfang Mai läuft dort ein Prozess gegen ihn und vier weitere Angeklagte. Ihnen wird die Gründung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Die Angeklagten sollen einen Umsturz der Bundesregierung geplant haben, um anschließend in einer „konstituierenden Versammlung“ die Verfassung von 1871 auszurufen. Sie planten mutmaßlich den Gesundheitsminister Karl Lauterbach zu entführen. Zusätzlich planten sie die Herbeiführung eines Blackouts, indem sie Anschläge auf Strominfrastruktur durchführen wollten. Dafür versuchten sie, sich zu bewaffnen.

Als erster der fünf Angeklagten macht Sven B. aus dem brandenburgischen Falkensee seine ausführliche Aussage. Bei den Ermittlungsbehörden haben sich rund 400 Seiten Protokoll angesammelt. Diese Aussage B.s umfasst recht gut das Bild, welches er in den vergangenen vier Verhandlungstagen bei seiner Einlassung von sich zeichnete. In den Ausführungen zu seiner Person wird deutlich, wie sich Sven B. Modernisierungsprozessen verweigert und gedanklich an einer imaginierten „besseren Vergangenheit“ hängt. Oft bezieht er sich positiv auf die DDR, indem er erwähnt, „man sollte nicht alles an Diktaturen verteufeln“. Der öffentliche Nahverkehr sei in der DDR gut ausgebildet und außerdem habe es damals kein „Migrantenimport“ gegeben.

Was schon in den ersten Verhandlungstagen auffällt, ist B.s ausgeprägtes Verschwörungsdenken. Seine Welt ist in  „Gut“ und „Böse“ eingeteilt. In dieser Welt sind wahlweise die USA, die EU, die Medien oder auch die Politiker*innen die „bösen“. Russland, die ehemalige DDR oder das „deutsche Reich mit der Verfassung von 1871“, also alles autoritäre Regime, die „guten“. So macht er die USA monokausal für alle Kriege verantwortlich, des Weiteren wären die „westlichen Alliierten weiterhin als Besatzungsmacht aktiv“. Generell hätte er „als Ostbürger Probleme mit dem, was gelaufen ist“, deshalb hatte er „geschaut, was es anderes gibt“. Fündig ist er in der Reichsbürgerideologie geworden. Er war Anhänger der „Nationalen Befreiungsbewegung (NBB)“.

Wie bei vielen anderen Protagonist*innen aus diesem Milieu hat die Coronapandemie eine Radikalisierung bei B. ausgelöst, jedoch wies er bereits vor Beginn der Pandemie menschenverachtende Denkmuster auf. Den Sommer 2015, als in Deutschland die Zahl der Asylsuchenden stark angestiegen ist, bezeichnet er als „Straftat“ oder auch „Verfassungsbruch“. Ein Wording, welches aus der extremen Rechten stammt.

Vor Gericht war es ihm nun ein wichtiges Anliegen sich stets als  „als Heterosexueller“ zu bezeichnen, da es für ihn nur „Familie, Mutter, Vater, Kind“ gibt. Überhaupt wird laut B. „die Mehrheit, das Volk, von einer Minderheit, den Politikern, beherrscht“. Hierin liegt auch die Legitimation seines Handelns. In seiner Vorstellungswelt lebte er während der Pandemie in einer „Corona-Diktatur“. Schließlich erlangte er zu der Überzeugung, dass der „Parteienquatsch“ wegmüsse, da es die Parteien in der 1871 Verfassung von 1871 nicht gab.

Von der Gruppe „Veteranenpool“ zur mutmaßlichen terroristischen Vereinigung

Bei der Befragung B.s durch die Richterin, scheint es, als würde der Angeklagte die Aufmerksamkeit genießen. Er zeigt ein großes Mitteilungsbedürfnis und offenbart teilweise ziemlich klare Vorstellungen der Terror-Pläne. Es wird deutlich, dass B. sich sehr intensiv mit dem Vorhaben beschäftigt hat. Immer wieder belastet er Thomas O., der bisher als einziger Angeklagter in diesem Prozess, nicht aussagen möchte. Sven B. bezeichnet O. unter anderem bei der Waffenbeschaffung und bei der Planung des Blackouts als federführend. Zu Beginn der Coronapandemie vertiefte sich B. in verschiedenen Telegramgruppen, um „mehr über die Hintergründe von Corona“ zu erfahren, wie er vor Gericht sagte. Parallel besuchte er Demonstrationen gegen Corona-Schutzmaßnahmen. 2021 sei er jedoch zu der Einschätzung gelangt, Demonstrationen seien für eine politische Veränderung „nicht praktikabel“. B. gründete daraufhin mit Jens G. aus dem Kreis Neustadt/Weinstraße die Telegramgruppe „Veteranenpool“, welche schnell auf mehrere Tausend Mitglieder anwuchs. Bei einem Präsenztreffen aller Admins der „Veteranenpool“-Struktur in B.s Privathaus in Falkensee im Juli 2021, entstand die Idee im Ahrtal bei der Fluthilfe aktiv zu werden. Ein Admin der Gruppe, Tobias Sch. aus Eisenach, war bereits vor Ort. Infolgedessen besetzten sie eine Schule in Ahrweiler und versuchten die staatlichen Hilfsmaßnahmen zu diskreditieren. Immer mehr Mitglieder des „Veteranenpool“ stießen hinzu. Die Erfahrung im Ahrtal sollte ein gemeinsamer Bezugspunkt für die Gruppe „Vereinte Patrioten“ bleiben. B. betonte, dass sie sich bei dem Herbeiführen eines Blackouts einen ähnlichen Zuspruch sowie Organisierungsstrukturen aus dem Reichsbürger- und Querdenkenmilieu, wie im Ahrtal, erhofften.

Mit Ariernachweis ins Ober- und Unterhaus  

Ab Oktober 2021 bis zum 13. April 2022, dem Tag der Verhaftungen, kam es zu verschiedenen Treffen. Spätestens am 18. Dezember 2021 lernten sich alle Angeklagten bei einem Treffen kennen. Die Mitangeklagte Elisabeth R. referierte vor ca. 25 Personen über die Verfassung von 1871 und die „konstituierende Versammlung“. Nach den Vorstellungen der Angeklagten bestand die „konstituierende Versammlung“ aus einem sogenannten Ober- und Unterhaus. Diese sollten am Tage des Umsturzes zusammenkommen. Für das Oberhaus waren 277 Personen vorgesehen, für das Unterhaus 60. Denn nur diese „Versammlung“ könne den Beschluss zur Wiedereinführung der Verfassung von 1871 erteilen. Teilnehmen konnten nur Männer, die standesamtlich nachweisen konnten, dass sie über ihre väterliche Linie bis 1919 im „deutschen Reich“ geboren wurden. Neues „Staatsoberhaupt“ sollte der am 18. März 2022 verstorbene Rigolf Hennig werden.

Rigolf Hennig sollte König von Deutschland werden

Der langjährige NPD-Aktivist war führende Person des europäischen Holocaustleugner-Zusammenschlusses „Europäische Aktion“. Die „Europäische Aktion (EA)“ ist ein 2010 gegründeter Zusammenschluss diverser Rechtsextremer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Unter anderem sollen die deutschen Neonazis Ursula Haverbeck und Axel Schlimper Mitglieder der EA gewesen sein. Ebenfalls taucht der Name Peter Wörner im Zusammenhang mit der „Europäischen Aktion“ auf. Wörner war Teil der Gruppe „Patriotische Union“ um Prinz Reuss, welche parallel einen Umsturz plante. Er war mit der Rekrutierung des militärischen Arms beauftragt. Zu diesem Zweck suchte Peter Wörner den Kontakt zu Sven B. Gemeinsam mit dem ebenso mittlerweile inhaftierten, ehemaligen AfD-Mitglied, Christian Wendler, trafen sie sich mit B. in Bayern zu einem dreistündigen Treffen. „Sie hätten eine große Gruppe“ und wären „komplett mit Waffen ausgestattet“, erzählt B. vor Gericht. Ihre Idee war es, „den Bundestag zu stürmen“.

Ein Brief an Russland

Noch vor seinem Tod im März 2022 unterzeichnete Hennig bei einem Treffen am 20. Februar 2022 in seinem Haus in Verden verschiedene Schriftstücke. Darunter war ein Brief an Russland mit der Bitte der Anerkennung der neuen Souveränität nach dem erfolgten Putsch. Außerdem unterschrieb Hennig einen Haftbefehl für den Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Als Autorin der Schriftstücke fungierte laut B. die Mitangeklagte Elisabeth R. B. führte aus, dass Hennig als Staatsoberhaupt geeignet war, da seine „Erbfolge dauerhaft [für das] Militär gedient hat“. Bei diesem Treffen waren ca. 12 Teilnehmende anwesend, wie B. mitteilte.

Bei einem letzten Treffen am 9. April 2022, kurz vor dem Zugriff der Polizei, in B.s Privathaus in Falkensee kamen rund 15 Personen zusammen. Ziel dieses Treffens war es, die nötigen 330 Menschen für die „konstituierende Versammlung“ zu mobilisieren. Unter den 15 Anwesenden waren bekannte Reichsbürger, wie zum Beispiel Hans-Joachim „Hajo“ Müller. Der Rechtsextreme war 2015 regelmäßig Redner der rassistischen „LEGIDA“-Mobilisierungen in Leipzig. Heute organisiert er Reichsbürger-Kongresse und referiert über Themen wie „Die Handlungsfähigkeit des deutschen Reiches wiederherstellen“. Sven B. sagte zu diesem Treffen aus, „Hajo hätte locker 500 Mitglieder für die konstituierende Versammlung“ mobilisieren können. Die Frage, ob Hajo Müller neues Staatsoberhaupt werden sollte, nachdem Hennig verstorben war, lies B. unbeantwortet.

Einerseits schilderte Sven B. den Ablauf der letzten Monate vor der Verhaftung sehr ausgiebig, andererseits lässt er Details weg, bzw. kann sich nicht mehr daran erinnern. Die von der Gruppe geplante Gewalt, mit in Kaufnahme von Toten, verharmloste B. stets. Es seien ja lediglich lose Ideen gewesen, die weit weg einer konkreten Umsetzung gewesen waren. Gleichzeitig antwortete er auf die Frage der Vorsitzenden Richterin „Ob es das alles wert war?“, mit „wenn es geklappt hätte, Ja“. Er äußerte auch gegenüber der Richterin, dass ihm durchaus das Ausmaß ihres Handelns bewusst war. Wie kurz die Gruppe vor der Umsetzung ihrer Anschlagspläne stand, wird der weitere Prozess zeigen. Was der Gerichtsprozess jetzt schon zeigt, ist, dass es der Gruppe gelungen ist, den Hass und die fundamentale Ablehnung des Bestehenden aus der digitalen Telegramstruktur zu lösen und in die analoge Welt zu transportieren, indem sie konkrete, gewaltvolle Vorhaben in Präsenztreffen planten. Unstrittig waren sie auch mit deren Umsetzung befasst. Fantasien sind nicht länger Fantasien geblieben. So absurd ihr Plan auch klingen mag, sie meinten es ernst und nahmen Tote als „Kollateralschäden“ in Kauf.

Als gemeinsames Bindeglied dienen Containerbegriffe wie „Souveränität“ oder „Freiheit“, welche beliebig mit den jeweiligen Sehnsüchten einer imaginierten „besseren Vergangenheit“ gefüllt werden können. So ist ein gemeinsamer ideologischer Überbau sekundär, primär ist die Ablehnung von Modernisierungsprozessen, besonders bei diesen heterogenen Akteur*innen der Gruppe „Vereinte Patrioten“ und deren Umfeld.

Für die nächsten Verhandlungstage sind Detailbefragungen von Sven B. angedacht. Danach stehen weitere Einlassungen der Mitangeklagten an. Bis jetzt sind Verhandlungstage bis Januar 2024 angesetzt.

 

Im Rahmen der Arbeit der Amadeu Antonio Stiftung im Kompetenznetzwerk Rechtsextremismusprävention findet eine Beobachtung des Rechtsterrorismus-Prozess gegen die „Vereinten Patrioten“ statt. Teil 1 der Prozessbeoabchtung finden Sie hier.

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